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aus dem FAZ-Artikel
"Bücher, die wir nicht vergessen dürfen" (FAZ 10.10.2001)

Michael Sallmann:

Kreuzberger Geschichten ohne Hunde sind undenkbar. Sie wären sofort avantgardistisch, nicht wegen ihrer kühnen Form, sondern wegen des utopischen Charakters eines Ortes, durch den man sich sicheren Fußes bewegen kann, ohne daß gleich die Sterilität der neuen Mitte vorherrschen muß. Sven Regener eröffnet seinen unlängst erschienenen Roman "Herr Lehmann" nicht von ungefähr auf dem nächtlichen Lausitzer Platz, der von einem Hund beherrscht und wenig später von der Polizei befreit wird. Weniger bekannt dürfte sein, daß Regener sich mit dieser Anekdote in eine längere Tradition der Kreuzberger Literatur einschreibt, in der eine Kurzgeschichte von Michael Sallmann aus dem Jahr 1984 prominent firmiert. Sie heißt "Hunde, Hunde und Hunde". Diskret modern ist dieser Titel, denn mit der Verwendung des Bindeworts dekonstruiert Sallmann geschickt das Stakkato des Hundeaufkommes. , das schon seinerzeit beträchtlich gewesen sein muß. Die Geschichte ist in einem Band enthalten, der "Nichts Besonderes" heißt und als Band 1 der Kreuzberger Hefte im Verlag in Kreuzberg - Dirk Nishen erschien. 1984 durfte sich der 1977 aus der DDR ausgewiesene Michael Sallmann bereits über eine zweite Auflage seiner 1983 erstmals erschienenen "Gedichte und Texte" freuen. Ein schonungsloser Existenzialismus äußert sich darin: "nicht arbeiten / sich vornehmen nicht an sie zu denken / an sie denken / noch mehr saufen". Lakonisch klingt das, doch diese Zeilen enthalten mehr Poetologie als die ganze Popliteratur der neunziger Jahre. Am Ende zwingt eine Fahrpreiserhöhung der BVG den Warschauer Pakt zur Einnahme Westberlins. "Das Volk war befreit". Bevor es in Kreuzberg allzu gemütlich wird, mache man dieses Buch wieder zugänglich.

(Unterstreichungen: S.S.)