Salli Sallmann „Badetag

Welt am Sonntag, 1. November 2009


Von Karsten Krampitz

Das Schwierige leicht erzählt, das Traurige komisch: Salli Sallmann blickt auf die DDR

Freitags wird gebadet, auch in der alten DDR. Zur Not eben mittels einer Zinkwanne in der Küche, denn wer keine Innentoilette sein Eigen nennt, hat freilich auch kein Badezimmer. Um diesen republikweiten „Badetag“ dreht sich einer der Songs, für deren Vortrag der Liedermacher und Student Salli Sallmann in den 70er-Jahren erst aus dem Chansonclub Leipzig geworfen, von der Ingenieurshochschule exmatrikuliert und, nach gescheiterter Bewährung in der Produktion, aus dem Betrieb entlassen wird. Als er zur NVA eingezogen und eines Tages auf dem Appellplatz verhaftet wird, schließen sich die Kreise: Selbst im Stasi-Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen wird am Freitag zwar nicht gebadet, wohl aber geduscht.

„Die Stasi stellt das Wasser an. Wir können nichts regulieren.“ Das Wasser sei mal heiß, mal eiskalt und dann wieder lau gewesen. Sein einarmiger Zellengenosse, ein in die Jahre gekommener Nazi-Kriegsverbrecher, habe sich weder Rücken noch gewisse andere Körperpartien waschen können. Für den Erzähler kein Problem: „Ich wasche für das Verfassen von staatsfeindlichen Gedichten dem Kriegsgefangenenmörder den Arsch.“

Nonchalant erzählt Salli Sallmann in „Badetag“ seine DDR-Geschichte, die den Biografien vieler Künstler ähnelt, die in Folge der Biermann-Affäre das Land verlassen mussten. „Ich will einen Sozialismus, aus dem keiner mehr abhauen will.“ Deshalb wurde der 1953 in Chemnitz geborene Salli Sallmann dann auch ausgebürgert. Davon schreiben andere auch, allen voran Biermann selbst.

Was diese Erzählungen so interessant macht, ist nicht zuletzt die literarische Auseinandersetzung mit der Antifaschismusdoktrin in der DDR. Seine Chefin im Betrieb, eine verdiente SED-Genossin, sagt schon mal im Vertrauen: „... der Biermann, das ist doch ein Jude, stimmt‘s?“ -und die Juden seien schon immer darauf aus gewesen, Geld zu machen. Salli Sallmann aber richtet nicht nur andere; seine Erzählung „Judenarsch“ handelt von einem ostdeutschen Jugendphänomen, dem Aufbegehren mit Nazisprüchen: „Wenn die uns hier so schurigeln, kurze Haare, keine Westsender, Strammstehen beim Fahnenappell, wenn die hier im Staat so gegen Nazis sind, dann kann doch nicht alles an den Nazis so schlecht gewesen sein?“ Und so kommt es, dass der junge Sallmann selbst ein Mädchen beschimpft:
„Du blöde Polackensau, du Jude, du!“ -merkwürdigerweise hat ausgerechnet diese Erscheinung vor Ort den SED-Staat überdauert.

Wie auch immer, „Badetag“ ist ein großartiges Buch. Das Schwierige wird leicht erzählt, das Traurige kommt komisch daher, und die Künstler und Intellektuellen sind nicht immer die Klügsten. Etwa in der Episode als Wolf Biermann beim Renft-Texter Gerulf Pannach anruft und ihm stolz berichtet, er habe begeisterte Zuschriften bekommen aus Leipzig. Damit nun auch wirklich alle Welt am Telefon Bescheid weiß, nennt Biermann die Namen, von wegen: „ihr seid nicht allein“. Dass er dabei abgehört wurde, ist fast schon wieder egal, denn die Stasi wird ja bereits die Briefe gelesen haben. Salli Sallmann erzählt nun, wie aus ihm und den Briefautoren erst ein Debattierzirkel, dann eine Schulungsgruppe und schließlich eine Art Seitensprungvermittlung wird.

Salli Sallmann, von Hause aus Literaturkritiker beim RBB-Radio, hatte sicher gute Gründe, seinem Werk keine Gattungsbezeichnung beizugeben. Für eine Novelle läge zwar eine unerhörte Begebenheit vor, allerdings fehlt der Haupterzählstrang. Die Geschichten korrespondieren miteinander, doch ergeben sie eher ein Mosaik als eine organisch gewachsene Handlung. Die Herausgeber Ines Geipel und Joachim Walther, in deren Reihe der „Verschwiegenen Bibliothek“ der Band erschienen ist, geben vor, dass es sich um ein „wichtiges Zeitdokument“ handelt. Für die Lyrik und die Liedtexte mag das stimmen; ein Teil wurde in den Archiven der Birthler-Behörde gefunden und ein anderer vom Autor während der Haft auswendig gelernt und nach der Entlassung notiert. Doch wie verhält es sich mit der Prosa? Wenn die Herausgeber nicht explizit sagen, dass der Band mit dem Manuskript identisch ist, welches in der DDR oder kurz nach der Ausbürgerung 1977 geschrieben wurde, dann ist „Badetag“ kein Zeitdokument, eher eine in wunderbaren Geschichten erzählte autobiografische Dokumentation.

Im Abrechnungszeitraum, dem sich Salli Sallmann widmet, hatte die DDR-Regierung die Schlussakte von Helsinki unterschrieben, sich also zur Achtung der Menschenrechte bekannt. Wie konnte es dennoch passieren, dass ein Mensch, der nicht gestohlen und nicht betrogen, gegen niemanden Gewalt angewendet hatte, über Monate im Gefängnis saß? So gründlich wie die Stasi, schreibt Salli Sallmann, habe sich noch kein Verlag und keine Zeitung mit seinen Texten auseinandergesetzt. Vielleicht erweitert sich ja mit „Badetag“ die Leserschaft.

 

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